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Suizidkontrolle in NRW  soll modernisiert werden!

Videoüberwachung soll in Zukunft in Nordrhein-Westfalen in den Zellen als gefährdet eingestufter Häftlinge eingesetzt werden, um Suizide zu verhindern. Damit könnte die unmenschliche Lebenszeichen-Kontrolle im 15-Minuten-Takt, die rund um die Uhr – auch nachts – durchgeführt wird, endlich abgeschafft werden. Sie hat auch angesichts der aktuellen Fälle einmal mehr ihre Unwirksamkeit bewiesen und wird von führenden Experten mit Folter gleichgesetzt. Moderne Überwachungsmaßnahmen sollen sie jetzt endlich ersetzen. Hier lesen Sie den Artikel in der Rheinischen Post:
www.rp-online.de

Dezember 2018

Stellungnahme

1. Der in der aktuellen Berichterstattung formulierte Vorwurf, ich hätte "Millionen verschoben" entbehrt jeder Grundlage. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen im Rahmen des Gesetzes gehandelt. Der Vorwurf des Bankrotts wurde bereits umfänglich und abschließend durch die Staatsanwaltschaft Bochum geprüft, das Verfahren wurde eingestellt. Der in den Medien zitierte "Zeuge" war zudem bereits damals bekannt.
2. Von der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen mich erfuhr ich, wie auch bereits in der Vergangenheit, erneut durch die Medien. Es ist mir unerklärlich, wie derart schutzwürdige Informationen an die Presse gelangen können, und ich hoffe, dass die Ermittlungsakten im weiteren Verlauf mit der vorgeschriebenen Vertraulichkeit behandelt werden.
3. Die aktuelle Berichterstattung hat den Charakter einer Vorverurteilung und missachtet das Grundprinzip eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens: die Unschuldsvermutung. Art 11 Abs. 1 der UN-Menschenrechtscharta gebietet:
„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“

Dies gilt auch und insbesondere für die Medien. In Ziffer 13 des Pressekodex heißt es:
Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.

Ich empfinde die Vorgehensweise deshalb als ethisch nicht vertretbar, respektlos und angesichts der schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen meiner zurückliegenden Haft als unmenschlich.

4. Sollte ich trotz rechtlicher Beratung in dieser Frage einen Beurteilungs- oder Ermessensfehler begangen haben, werde ich natürlich – wie in der Vergangenheit auch – zu meiner Verantwortung stehen. Das entspricht meinen ethischen Grundsätzen als bekennender Christ.
5. Auch prominenten Bürgern sollte nach einer verbüßten Strafe unbehelligt eine Neuausrichtung ihres Lebens gestattet sein – sofern sie sich nicht einer neuerlichen Straftat schuldig machen. Dies habe ich nicht getan.

Thomas Middelhoff  

Haftbedingungen und Strafjustiz: Warum sich etwas ändern muss 

An dieser Stelle werden fortan Beiträge veröffentlicht, die deutlich machen, dass es gravierende Missstände und Defizite in unserem Justizwesen gibt. Wir werden sowohl Probleme des geschlossenen Vollzugs wie die medizinische Versorgung und die unverhältnismäßige Suizidkontrolle thematisieren, aber auch die fragwürdigen Umstände von Wirtschaftsprozessen im Medienzeitalter beleuchten. Dazu wird es eigene sowie Gastbeiträge geben. Die ungeheuer große Anzahl an Zuschriften und Zuspruch, die uns seit der Buchveröffentlichung von „A115 – Der Sturz“ täglich erreichen, beweist: Es ist richtig, Missstände zu thematisieren und eine Debatte einzufordern. Wer schweigt, macht sich mitschuldig.

November 2017

Transparenz und Kontrolle auch im Vollzug

Der deutsche Strafvollzug darf nicht als Parallelwelt unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren. Wo keine Kontrolle erfolgt und kein Einblick möglich ist, ist der Spielraum für Missbrauch von Nachlässigkeit bis Willkür groß. Wie absurd sich das bisweilen im Gefängnisalltag darstellt, mag der Besuch einer Delegation des nordrhein-westfälischen Justiz­ministeriums in der Essener JVA verdeutlichen. Während in meinem Umfeld der Eindruck vorherrschte, dass sich das Vollzugspersonal sonst nicht über die Maßen um Sauberkeit und Ordnung kümmerte, ergingen bereits Tage vor dem Besuchstermin zahllose Anweisungen an die Insassen, ob per Lautsprecher­durchsage oder durch Inspektion der einzelnen Zellen und persönlicher Befehle: Zwischenräume zwischen Fensterrahmen und Gitterstäben leer räumen, Zelle säubern, Schränke aufräumen, Poster von den Wänden entfernen. Ein solches Vorgehen entspricht vielleicht den Gewohnheiten in Feriencamps für Jugendliche, aber kaum einem modernen, souveränen Strafvollzug. Es drängt sich der Eindruck auf, dass bei öffentlicher Aufmerksamkeit andere Maßstäbe angelegt werden.

Die Durchführung des Strafvollzugs muss deshalb dauerhaft einer funktionierenden Kontrolle unterliegen, insbesondere leitende Mitarbeiter in verantwortlichen Positionen wie dem ärztlichen Dienst müssen sich in einem hochsensiblen Bereich wie diesem einer Supervision stellen. Das setzt allerdings voraus, dass die vorhandenen Stellen überhaupt mit geeignetem Personal besetzt sind. Im medizinischen Bereich ist das nicht der Fall, in mehreren Bundesländern sind Stellen längerfristig unbesetzt; in Niedersachsen betraf das 2016 rund jede dritte Stelle.

Werden Stellen ausgeschrieben, finden sich oft nur schwer geeignete Bewerber. Welche fatalen Folgen hier personelle Fehlentscheidungen haben können, macht auch die Essener Situation deutlich. Ärzte im Justizvollzug müssen nicht nur fundierte allgemeinmedizinische und bestenfalls zusätzlich internistische Erfahrungen haben. Sie müssen zudem auch über besondere persönliche Fähigkeiten verfügen, um den speziellen Umständen des Strafvollzug gerecht werden zu können. Um qualifizierte Kräfte zu gewinnen, müssen diese Stellen, denen ein immens hoher Grad an Verantwortung innewohnt, aber auch entsprechend dotiert sein.  

Oktober 2017


Suizidkontrolle: Fürsorge oder Folter?

Die systematische Überwachung von Häftlingen im 15-Minuten-Takt wegen einer angenommenen Suizidgefahr ist eine massive Maßnahme und nicht erst seit der Debatte um meinen Fall umstritten. Und sie wird ganz konkret folgendermaßen praktiziert: In der Regel kontrolliert ein JVA-Beamter, ob der Häftling sich nichts angetan hat, indem er ihn durch den Spion der Zellentür in Augenschein nimmt. Tagsüber ist das ohne zusätzliche Maßnahmen durchführbar, die Zelle ist hell erleuchtet und nahezu überall einsehbar. Befindet man sich zufällig in dem „toten Blickwinkel“, nämlich vor dem kleinen WC, kommt von außen der zumeist barsche Befehl, man solle sich in das Blickfeld des Türspions bewegen. Andernfalls wird die Zellentür für eine kurze direkte Inaugenscheinnahme geöffnet. Während der Nacht muss dazu naturgemäß das Licht eingeschaltet werden. Wenn dann noch immer nicht erkennbar ist, ob der Häftlinge schläft oder etwa nicht mehr am Leben ist, braucht es eine Art „Lebenszeichen“. Dieses besteht in meinem Fall darin, dass ich einen meiner Arme heben muss. Andernfalls wird die Zellentür geöffnet, und ich werde geweckt. Das wiederholt sich in unregelmäßigen Abständen, aber maximal alle 15 Minuten, die ganze Nacht.  

Im Normalfall wird diese Form der Überwachung aufgrund ihres massiven Charakters nur über einen sehr begrenzten Zeitraum, üblicherweise nur für wenige Tage, durchgeführt. Eine Ausdehnung über einen Zeitraum vom 14. November bis zum 19. Dezember 2014 mit lediglich einigen Tagen Unterbrechung haben die mir bekannten Anwälte während ihrer langjährigen Tätigkeit nach eigenem Bekunden kein zweites Mal erlebt. Die Folgen dieser auf richterlichen Hinweis durchgeführten Kontrolle haben auf meine Gesundheit katastrophale und einschneidende lebenslange Auswirkungen.  

Ob diese Maßnahmen einen Suizid im Ernstfall verhindern können, darf man allerdings bezweifeln. Wollte sich ein Häftling wirklich umbringen, so würde er das umgehend nach einer soeben erfolgten Kontrolle tun. Mittel verbleiben ihm auch nach Abnahme der Schnürsenkel genügend: vom Plastikmüllbeutel über Handtücher bis zum T-Shirt, es reiche sogar eine Unterhose, sagte ein Gewerkschafterin. Auch das Ersetzen von Porzellangeschirr durch Plastik ist da kein Hindernis.  

Tatsächlich aber hat diese drastische Form der Suizidkontrolle auch noch eine völlig andere Funktion, wie mir JVA-Beamte später erläutern. Es geht um die eigene Absicherung. Nämlich darum, im worst case gegenüber dem vorgesetzten Justizministerium und ebenso gegenüber der Öffentlichkeit nachweisen zu können, dass alle Richtlinien eingehalten worden sind. Dass der Faktor der Öffentlichkeit dabei in einigen Fällen eine größere Rolle spielt als in anderen, was darüberhinaus proportional mit dem Bekanntheitsgrad des betroffenen Häftlings zusammenhängt, liegt auf der Hand.  

Eine ganz andere Frage ist hingegen, was die über einen derart langen Zeitraum durchgeführte Sicherheitskontrolle bei einem Häftling bewirkt, der gar nicht suizidgefährdet. Sie löst, wie von etlichen Wissenschaftlern weltweit bereits nachgewiesen, mit ihrer Folge eines konsequenten Schlafentzuges sowohl physischen als auch psychischen Stress aus. Das kann, gerade wenn der Schlafentzug über einen längeren Zeitraum zum Tragen kommt, zu schweren gesundheitlichen Schäden und Erkrankungen führen, insbesondere auch zu Autoimmunerkrankungen.  

„Schlafmangel hat negative Auswirkungen auf die Psyche und den Körper“, betont der Leiter des Schlafzentrums Pfalzklinikum in Klingenmünster, Hans-Günter Weeß. Wenn jemand dauernd geweckt werde, könne er erholsame Schlafstadien nicht in dem Maße erreichen wie ein normaler Schläfer. „Es wird ihm an Tiefschlaf fehlen, der wichtig ist, für die körperliche Erholung.“ Auch das emotionale Gleichgewicht und Gedächtnisprozesse könnten beeinträchtigt werden. Ja. Schon wenn jemand über elf Tage nur vier statt acht Stunden Schlaf habe, könne das Immunsystem geschwächt werden, berichtet Weeß.“  
http://www.stern.de/panorama/thomas-middelhoff--amnesty-international-kritisiert-haftbedingungen-5935054.html

Studien wiesen tatsächlich nach, dass Schlafentzug bei gesunden Probanden die Aktivität der Regulatorischen T-Zellen reduziert. Diese Untergruppe der T-Zellen reguliert wiederum die Aktivität des Immunsystems und verhindert seine Entgleisung. Sie sind damit ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen. Taiwanesische Wissenschaftler untersuchten 2015 anhand umfangreichen Datenmaterials der Nationalen Krankenversicherung von 84.996 Probanden erstmals systematisch den Zusammenhang zwischen Schlafentzug und der Entstehung von Autoimmunerkrankungen unter Ausschluss des Schlafapnoe-Syndroms beim Menschen. Sie stellten eindeutig fest, dass sich das Risiko, bei Schlafentzug eine Autoimmunerkrankung, darunter auch der Systemische Lupus Erythematodes, zu entwickeln, signifikant erhöht (Sleep, 2015, Yi-Han Hsiao, MD, Yung-Tai Chen, MD...).  

Im schlechtesten Fall kann diese lang andauernde systematische Überwachung aber auch das erst auslösen, was sie eigentlich verhindern soll: einen Suizid, weil der betroffene Häftling früher oder später in einem Zustand der dauerhaften physischen wie mentalen Erschöpfung derartigem Stress ausgesetzt ist, dass er in Gefahr gerät, die Nerven zu verlieren und der Tortur endlich ein Ende setzen will.  

Christian Bommarius schrieb in der Frankfurter Rundschau: „ ... unbestritten ist, dass ein über Wochen anhaltender Schlafmangel das Suizidrisiko erheblich steigert. Auch deshalb wurde der im US-Gefangenenlager Guantánamo praktizierte systematische Schlafentzug von Kritikern als "Folter" bezeichnet, auch deshalb musste Hubertus Knabe, der Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, an die "Methoden des DDR-Staatssicherheitsdienstes" denken, als er von der Behandlung Middelhoffs hörte. Nach allem, was jetzt bekannt ist, scheint es sich bei Middelhoff um einen Fall von "self-fullfilling prophecy", also von selbsterfüllender Prophezeiung zu handeln. Zwar hat Middelhoff zu Beginn der Untersuchungshaft nach Ansicht des Anstaltsarztes keine Anzeichen einer Suizid-Gefährdung aufgewiesen, aber die Anstaltsleitung hat sie schon damals vermutet. Und jetzt, nach Middelhoffs vierwöchiger Behandlung gegen suizidale Neigungen, würde die Fachwelt diese Vermutung sehr wahrscheinlich bestätigen... Natürlich ist der Staat, also die Anstaltsleitung berechtigt und verpflichtet, suizidgefährdete Gefangene fürsorglich zu kontrollieren – mit Blicken des Wärters durch den Spion an der Zellentür oder bei eingeschaltetem Licht in der Zelle im Abstand mehrerer Stunden. Aber der Staat ist weder berechtigt noch verpflichtet, die Menschenrechte des Gefangenen de facto außer Kraft zu setzen und ihn als Person auszulöschen.“
http://www.fr.de/politik/meinung/kommentare/manager-in-haft-demuetigende-bosheit-gegenueber-middelhoff-a-479841

Amnesty International und die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Renate Künast prangerten diese Praxis als das an, was sie tatsächlich ist: als „unmenschlich“, als „Verletzung der Menschenrechte“ und als „Folter“. Auch Maria Scharlau, Referentin für internationales Recht bei Amnesty International, sagte dem Stern: „Wenn Middelhoff durch das Anschalten des Lichts tatsächlich jede Viertelstunde geweckt wurde und deswegen keine Nacht schlafen konnte, dann ist das menschenrechtlich nicht zulässig.“ - verboten nach der europäischen Menschenrechtskonvention.“ (Stern, 8.4.2015)

Das alles macht überdeutlich, dass man über andere Maßnahmen nachdenken muss, um Suizide in der Haft zu verhindern. Die Videoüberwachung wird bereits praktiziert und ist ein wirksames Mittel der Überwachung, wenn auch ein massives. Ob es allerdings massiver ist als ein andauernder Schlafentzug, darüber darf – sachlich – diskutiert werden.  

Der Strafrechtler Dr. Dirk Lammer sagte dem Online-Magazin Deutsche Anwaltauskunft: „Alle 15 Minuten das Licht anzuschalten, halte ich für extrem belastend. Das kann sich jeder selbst vorstellen, dass man in einer solchen Situation nicht in den Schlaf finden kann. Insbesondere angesichts der berichteten und in der Presse nach meiner Kenntnis bisher unwidersprochenen Dauer dieser besonderen Sicherungsmaßnahme, nämlich über 672 Stunden hinweg und damit 4 Wochen lang, halte ich das für absolut unverhältnismäßig... Es gibt ausreichende, technische Mittel, die allemal verhältnismäßiger wären als das Licht alle 15 Minuten an- und auszuschalten. Allerdings ist die lückenlose Videoüberwachung natürlich auch nicht unproblematisch. Dabei würde der Inhaftierte in allen Lebensumständen gefilmt, also auch, wenn er etwa zur Toilette ginge. Es wäre aber denkbar, anstatt in gewissen Abständen das Licht in der Zelle anzustellen, die Kamera einzuschalten und nach der Kontrolle wieder auszustellen. Das wäre allemal besser, als den Inhaftierten so häufig zu wecken.“ (7.4.2015)
https://anwaltauskunft.de/magazin/gesellschaft/strafrecht-polizei/967/der-fall-middelhoff-schlafentzug-in-haft-legitim/

Dennoch ist es unstrittig, dass die moderne Technologie diverse Optionen zur Ausgestaltung einer wirksamen Überwachung bereit hält, zum Beispiel Fingerclips oder eine spezielle Form der „Handfessel“, die alle relevanten Vitalparameter aufzeichnen und übertragen kann und bei abnormen Werten warnt. Dieser Debatte müssen wir uns stellen, vor allem angesichts der massiv gewachsenen Herausforderungen im Regelvollzug wie auch in der Untersuchungshaft.

September 2017

Strafvollzug in Deutschland: Die Zahlen sprechen für sich
Gewalt in deutschen Gefängnissen

Im Rahmen einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen zu Gewalt in deutschen Gefängnissen wurden 6400 Häftlinge in 33 Anstalten in fünf Bundesländern anonym befragt. Jeder vierte gab an, in den vergangenen vier Wochen entweder selbst Opfer von Vorfällen gewesen zu sein oder solche als Zeuge miterlebt zu haben, die als "sehr schlimm" empfunden wurden. Auch DIE ZEIT berichtete schon 2012 über dramatische Zustände in Haftanstalten: http://www.zeit.de/2012/34/DOS-Gefaengnisse-Deutschland-Gewalt. Das Problem ist längst bekannt, selbst einzelne Leiter von Vollzugsanstalten räumen mittlerweile ein, die Banden nicht mehr vollständig unter Kontrolle zu haben. 

Der renommierte Strafvollzugsexperte Prof. Bernd Maelicke (https://www.randomhouse.de/Buch/Das-Knast-Dilemma/Bernd-Maelicke/C-Bertelsmann/e462061.rhd), seit 2005 Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft (DISW) in Lüneburg, kritisiert massiv eine großflächig akzeptierte „Scheinlösung des Wegsperrens“. In einem Gespräch mit Deutschlandradio Kultur nannte er die stationäre Resozialisierung im geschlossenen Vollzug erfolglos. Dort bereiteten Häftlinge einander die Hölle, gebe es eine Subkultur aus Gewalt, Drogen, Erpressung und sexuellem Missbrauch. Das betrifft sowohl die Untersuchungshaft, in der Betroffene nicht selten unverhältnismäßig lange festgehalten werden, wie auch den Regelvollzug.

Personalnot und Fachkräftemangel

Anfang 2017 gab es in Nordrhein-Westfalen eine Personallücke von 1.025 Stellen. Zusammen mit Bayern weist NRW die schlechteste Relation zwischen Gefangenen und Vollzugsmitarbeitern auf: Bis zu 40 bis 60 Insassen werden von einem Beamten beaufsichtigt. Die Mitarbeiter im Vollzugsdienst schieben nach Gewerkschaftsangaben im Jahresdurchschnitt 500.000 Überstunden vor sich her; 1000 zusätzliche Stellen müssten geschaffen werden, wenn die Lage in den Vollzugsanstalten beherrschbar bleiben soll.  

Das stellt sich auch bei den Fachkräften nicht viel anders dar: Es gibt 330 Sozialarbeiter in NRW, in Einzelfällen leiten sie im Strafvollzug eine ganze Abteilung. Wie realitätsfern die Sichtweise der Verwaltung ist, belegt auch ein Schlüssel zur Stellenverteilung bei den Psychologen in den Anstalten. Weil die Annahme zugrunde liegt, dass Täter mit kurzen Haftstrafen weniger betreuungsintensiv sind, soll ein Psychologe 160 Gefangene mit Haftstrafen von mehr als einem Jahr betreuen. Bei Häftlingen, die zu Strafen von bis zu einem Jahr verurteilt wurden, kommt ein Psychologe auf 500 Gefangene. Gerade bei Erstverurteilten, von denen viele kürzere Haftstrafen verbüßen müssen, sei angesichts des Schocks und des drastischen Einschnitts der Betreuungsbedarf aber im Gegenteil besonders hoch, kritisieren die Psychologen. 

Rückfallquote

Entlassene Strafgefangene werden hierzulande überwiegend rückfällig, bei vorangegangenen Raubdelikten trifft das sogar auf etwa jeden zweiten Täter zu, ergab eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Bei Straftätern, die zu einer Jugendstrafe verurteilt worden sind, sind es demnach gar vier von fünf Personen! Ein zweites Mal in Haft gehen ein Drittel der bereits ein Mal nach dem Jugendstrafrecht Verurteilten und ein Viertel der zu einer ersten Freiheitsstrafe Verurteilten. 

Wer wollte angesichts dieser Zahlen noch ernsthaft behaupten, es gäbe keine Defizite im deutschen Strafvollzug? Wer meint, eine Putzmittel-Offerte sei die passende Antwort auf gravierende Probleme wie diese, nimmt seine Verantwortung nicht ernst.

September 2017